Zur Zerstörung Paderborns am 27.3.1945

Vor genau 75 Jahren, am frühen Abend des 27.3.1945 wurde unsere Stadt Paderborn durch alliierte Luftangriffe in Schutt und Asche gelegt. Mehr als 80% der Innenstadt waren zerstört. Von unsrer Schule, dem Theodorianum, konnte man bis zum Bahnhof blicken. Wegen vorheriger Luftangriffe war ein großer Teil der Stadtbevölkerung bereits auf das Umland ausgewichen, so dass die Opferzahlen unter Tausend blieben. Ein Leben in den Trümmern war lange nicht möglich, viele hatten beim Anblick des brennenden und in sich zusammenbrechenden Doms nicht mehr an eine Zukunft geglaubt.

Unsere Schule war bis auf die Grundmauern zerstört, auch die großartige Bibliothek und die Gedenktafel für die gefallenen Schüler des Ersten Weltkrieges in der Aula waren vernichtet. Nach dem Krieg fand nach monatelanger Unterbrechung der Schulbetrieb zunächst in Behelfsbaracken statt. Es wurde zu Beginn der Wiederaufbauzeit überlegt, das Theodorianum außerhalb der Innenstadt, „auf der grünen Wiese“, ganz neu wiederaufbauen. Glücklicherweise entschied man sich für einen Wiederaufbau des Altbaus am Originalstandort – nicht zuletzt die Ehemaligen setzten sich dafür ein. Sie, wie auch viele Schüler, beteiligten sich auch beim Abräumen des Schutts, beim Sammeln von Sachspenden und beim Wiederaufbau bis in die 1950er. Die markante Turmhaube wurde erst in der Mitte der 1970er fertiggestellt. 

Allein bis hierhin kann – auch und gerade in diesen Zeiten – die Erinnerung an das schreckliche Ereignis vor 75 Jahren ein Moment des Innehaltens sein – ein Nachdenken, was es heißt, „im Krieg“ zu sein – und auch zu Hoffnung motivieren. Aus den Trümmern ging es wieder weiter. Die Gemeinschaft, der Zusammenhalt und der bewusste Wille halfen.

Es ist in Paderborn seit sehr vielen Jahren Tradition, dass am alljährlichen Gedenktag, dem 27. März, Schüler wechselnder Schulen die Gedenkveranstaltung mit dem Bürgermeister am Ehrenmal an der Busdorfmauer mitgestalten. Das ist eine sehr schöne und wichtige symbolische Geste – die Weitergabe der Erinnerung über die Zeitzeugengeneration hinaus sowie Beweis, dass das Leben weitergeht – und zugleich ein ungeheurer Lerneffekt für die jungen Menschen: Sie setzen sich intensiv mit den Ereignissen von 1945 – und selbstverständlich der Vorgeschichte: vom wem der Krieg ausging – auseinander, bedenken und bewerten die Folgen, versetzen sich voll Empathie in die Zeitgenossen, wechseln die Perspektive, übertragen ihr Urteil bis in die Gegenwart und setzen dies schließlich bei der alljährlichen Veranstaltung immer neu um und in Szene. Die Schüler erlangen Handlungskompetenz und Gegenwartsbezüge, reflektieren die Erinnerungskultur ihrer Heimatstadt und werden durch das Mitmachen und Selbst-Gestalten Teil dieser. Die Schüler lernen dadurch, reflektiert und geschichtsbewusst beizeiten selbst Verantwortung für die Weitergabe des Kulturellen Gedächtnis zu übernehmen. Historisches Lernen auf beste Art und Weise. Unsere Schule durfte vor genau zehn Jahren den Gedenkakt mitgestalten: eine Gruppe von Lk-Schülern trug selbstverfasste Gedichte vor, die die Perspektive der damaligen Zeitgenossen einnahm, unsere Turmbläser spielten u.a. das berühmte Lied Bonhoeffers „Von guten Mächten...“

In diesem Jahr fiel die Veranstaltung aus den bekannten Gründen aus. Das Ehrenmal war zwar geschmückt wie alle Jahre – Totenlichter, Fahnen mit Trauerflor auf Halbmast, ein Kranz des Bürgermeisters (den dieser am Morgen alleine niedergelegt hatte) und Glockengeläut zum Zeitpunkt der Bombardierung. Aber es war eine Kulisse ohne Akteure und Zuschauer, stumm, verwaist, fast gespenstisch, so bekümmernd wie die leeren Schulen.    

Dies macht ganz entschieden deutlich, dass der beschriebene performative Akt unersetzlich ist. Texte, Bilder, Filme, Zeitzeugenbörsen und alle Formate, die momentan Anwendung finden, um den entfallenen Unterricht zu ersetzen, können doch keinen richtigen Ersatz bringen für solch ein Lernen in Aktion, in Gemeinschaft, vor Ort, in der Öffentlichkeit, zwischen den Generationen. Wenn uns dies bewusst ist, dann können wir in hoffentlich bald wieder besseren, ja in normalen Zeiten dieses Lernen mit unseren Schülern um so bewusster und dann auch dankbar weiterhin praktizieren. Dann hatte die leere Denkmalkulisse ohne Menschen vielleicht doch einen Sinn.